Der Feldhamster

Zum fünften Mal hat die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD das „Tier des Jahres“ benannt: für 1996 den Feldhamster. Auch er zählt, wie viele andere Arten, zu den Bedrohten und ist in der Roten Liste der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten zu finden. Dies ist jedoch kein rein deutsches Problem, wie die Tatsache einer Konferenz in den Niederlanden unter Beteiligung belgischer, französischer, niederländischer und deutscher Biologen beweist. Ihr Thema: der alarmierende Rückgang der Hamsterbestände in Europa und die Gründe hierfür.

Feldhamster

Der Feldhamster ist ebenso wie Feldhase und Rebhuhn ein wichtiger „Bio-Indikator“ für den Zustand der Umwelt. Das heißt, er zeigt genauso wie die beiden anderen Arten an, wie es um die Natur, um Boden, Wasser und Luft, bestellt ist. Wo er zuhause ist und leben kann, gibt es auch Existenzmöglichkeit für zahlreiche andere Tierarten. Als gesicherte Erkenntnis gilt, daß die Gefährdung des Hamsters in erster Linie auf die Praktiken der Intensiv-Landwirtschaft zurückzuführen ist. Das ist jedoch nicht erst heute so – seit langem schon wird dieser Tier art zugesetzt. In der früheren DDR war der Feldhamster als „Agrarschädling“ eingestuft, er unterlag der Kontrolle des Pflanzenschutzdienstes und wurde intensiv bekämpft. Etwa mit Chemie, die Hamsterbaue wurden mit Schwefelkohlenstoff begast, ganz besonders aber wurden die Bestände durch den Fallenfang dezimiert. Fang und Fellaufkauf waren staatlich organisiert, es gab hauptamtliche Hamsterfänger, von denen jeder ein Gebiet bis zu 300 Hektar absuchte und Draht- und Kastenfallen setzte. Sie wurden am Bauausgang angebracht und zerquetschten den Tieren beim Passieren Brust und Bauch. Allein im Landkreis Aschersleben wurden pro Jahr zwischen 60 000 und 500 000 Feldhamster „erbeutet“. Erst 1990, als die Bundesarten-schutzverordnung auch für Ostdeutschland Geltung erlangte, kam der organisierte Hamsterfang zum Erliegen – nun wurde der Feldhamster als geschützte Tierart angesehen und behandelt.

Obwohl sich also ein durch Gesetzgebung veranlaßter Wandel hinsichtlich der Rolle des Feldhamsters in unserer freilebenden Tierwelt vollzogen hat, ist diese Art dennoch ein Rote- Liste-Tier. Sie ist dort in der zweithöchsten Kategorie unter „Stark gefährdet“ verzeichnet. In einigen Bundesländern ist die Lage noch dramatischer. Im Saarland gibt es keine Hamster mehr, in Brandenburg gelten sie als „Vom Aussterben bedroht“ und auch in Mecklenburg-Vorpommern ist der Bestand so gut wie erloschen. Gründe hierfür sind die intensiveren und schnelleren landwirtschaftlichen Bearbeitungsmethoden: Die Hamsterbaue werden immer wieder beschädigt, Deckungsmöglichkeiten auf den Feldern werden beseitigt, nach wie vor wird Chemie gespritzt, die vor allem mit der Pflanzennahrung im Frühjahr von den Tieren aufgenommen wird. Auch das Verschwinden der Kleinstrukturen in der Feldmark wirkt sich sehr nachteilig aus.

Hamsterleben ist also kein leichtes Leben. Dabei ist das Dasein des Tieres mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Cricetus cricetus ein höchst interessantes. In Deutschland ist die weltweit 400 Arten umfassende Großfamilie der Hamster lediglich mit dem Feldhamster vertreten, der eigentlich ein Steppenbewohner ist. Besonders zahlreich war er stets in Regionen, in denen es tiefgründige Löß- oder Lehmböden gibt, gut geeignet zur Anlage eines Hamsterbaues. Die östlichen Steppen, doch auch die Bördengebiete Ostdeutschlands sind deshalb besonders bevorzugte Wohngebiete des Tieres, das vor allem wegen seines vieldeutig gebrauchten Namens volkstümlich ist – ebenso aber auch wegen seines Verhaltens. Die offene Agrarlandschaft, besonders Weizen-, Klee- und Rübenschläge, ist die Heimat des Hamsters, der eine dämmerungs- und nachtaktive Tierart ist. Unser Jahres-Tier ist ein ebenso ungeselliger wie verschlafener Bursche, der einen häufig unterbrochenen Winterschlaf von Oktober bis März hält. Von Mai bis August ist Paarungszeit, und das Hamsterweibchen bekommt nach einer Tragezeit von zwanzig Tagen jährlich zwei- bis dreimal zwischen 5 und 12 Junge. Schon nach zehn Wochen sind die Neugeborenen geschlechtsreif und sorgen noch im Jahr ihrer Geburt selbst wieder für Nachwuchs.

Ein großer Teil des Hamsterlebens spielt sich im Bau ab, der bis zu 2 m tief im Boden angelegt wird und weitverzweigt ist. In der unterirdischen Wohnung gibt es eine Vorratskammer, einen Kotplatz und eine Lager- und Schlafstätte – nach oben führen bis zu vier Gänge. Das alles verteilt sich auf durchschnittlich 10 qm Ackerfläche. In die umfangreiche Vorratskammer wird die Nahrung für den Winter eingefahren. Frühere Berichte sprechen von Vorratslagern bis zu 65 kg, doch haben neue Untersuchungen ergeben, daß es lediglich ein paar Kilo sind, die „gehamstert“ werden. Doch auch diese, gemessen am stark zurückgegangenen Hamsterbestand sehr geringe Menge können nicht alle Tiere in den Bau einfahren. So kommt es, daß immer wieder Hamster im Winter sterben müssen. Im Sommer dienen neben Körnern auch Wildkräuter als Nahrung, aber auch tierisches Eiweiß wird nicht verschmäht: Schnecken, Engerlinge und Regenwürmer ebenso wenig wie junge Feldmäuse. Der Lebensraum des Feldhamsters ist ein großes, in erster Linie westpaläarktisches Gebiet, das von den Steppen Zentralasiens und Osteuropas bis Thüringen und Niedersachsen reicht. Weiter westlich gibt es heute nur noch kleine, inselartige Vorkommen – eine Entwicklung, wie sie noch bei manch anderen, sogar großen und bekannten Arten wie etwa dem Rotwild zu beobachten ist, das ebenfalls in immer mehr Inselvorkommen zurückgedrängt wird. Die SCHUTZGEMEINSCHAFT weist seit langem auf diese bedrohliche Entwicklung der Artenvielfalt hin. Die Hamster-„Inseln“ im Westen liegen in Bayern, in der Oberrheinebene und in den südlichen Niederlanden.

Feldhamster Tier des Jahres 1996

Einstmals war das ganz anders. Wie sehr der Mensch dem Feldhamster ans begehrte Fell ging, ist erstmals schriftlich festgehalten in den „Beyfugen“ zur Landesordnung des Herzogs Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Da erging zum „Ausschreiben die Ausrottung der Hamster betreffend“ an die Landwirte die Aufforderung, die Tiere nach der Ernte „fleißig aus den Bauen zu graben“. Für jeden Balg gab es eine Prämie. Dazu muß angemerkt werden, daß der Raum Gotha im 18. Jahrhundert von den Nagern stark heimgesucht wurde. Zur „Hamsterplage“ hieß es in einem Bericht von 1741, daß es „sehr viele Hamster gibt, welche dem Landmann an seinem Getreide, welches sie in ihre Löcher tragen, großen Schaden zufügen. Um solches schädliches Tier so viel wie möglich auszurotten, zahlt die Herrschaft vor jeden alten Hamster, der geliefert wird, sechs und vor einen jungen drei Pfennige. Ihre Menge kann daraus abgenommen werden, daß anno 1721 in dem Herzogtum Gotha 80 136 Stücke weggefangen worden“. In der Stadtflur Gotha wurden ein Jahrhundert später, 1818, immer noch 111 817 Feldhamster eingefangen.

Erst 1950, nach Gründung der damaligen DDR, kam der Steppennager wieder ins öffentliche Gerede. Auf dem Hintergrund des Ostberliner Strebens nach einer autarken Wirtschaft wurde der Pelz des Hamsters wieder interessant. Der Fang wurde erneut angekurbelt, durch Aufkaufpreise gefördert, wozu es ein dichtes Netz von „Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetrieben tierischer Rohstoffe“ gab. Der Fangappell hatte ein ungeahntes Echo: 1957 wurde eine Jahresstrecke von mehr als einer Million Feldhamster erzielt – obwohl Biologen schon 1949 auf ein merkliches Abnehmen dieser Tierart in ganz Deutschland hingewiesen hatten.

So gut bekannt der Feldhamster in der Öffentlichkeit ist, obwohl kaum jemals einer ein Tier dieser Art in Freiheit gesehen hat, so sehr mangelt es an wissenschaftlichen Untersuchungen. Bezeichnend hierfür ist, daß in der Begründung für ein Forschungsvorhaben einer deutschen Universität von einer „sehr geringen Kenntnis der Biologie des Feldhamsters“ gesprochen wird. Gegenwärtig sind Biologen in Halle, Gotha und Heidelberg in der Hamsterforschung tätig, und auch der Arbeitskreis Feldhamster bemüht sich in dieser Richtung. Wichtig wird sein, daß künftig alle diese wissenschaftlichen Arbeiten koordiniert werden, wofür sich auch die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD einsetzt. Vom Arbeitskreis wird darauf hingewiesen, daß Untersuchungen zum Hamsterproblem möglichst bald auch auf übernationaler Grundlage durchgeführt werden sollten. Wie notwendig dies ist, zeigt allein schon die Tatsache, daß noch vor kurzem in Frankreich wissenschaftliche Aktivitäten vorwiegend an getöteten Tieren vorgenommen wurden. In Deutschland werden sowohl Freiland- als auch Labor-Untersuchungen ausschließlich mit gefangenen, lebenden Hamstern praktiziert.

Feldhamster Futter

Bei der Hamsterforschung geht es um verschiedene Aspekte. Einmal werden die Ursachen für den weithin zu beobachten- den erheblichen Rückgang der Bestände untersucht. Dabei geht es nicht allein um die Rolle der Landwirtschaft, sondern auch um den Anteil, den Greifvögel an der Bestandsminderung haben. Weiter haben die Zoologen sich zum Ziel gesetzt, soziophysiologische, populationsdynamische und populationsgenetische Probleme im Leben des Feldhamsters anzugehen, sowohl im Freiland als auch im Labor. Dabei kommen modernste Methoden zur Anwendung: neben Video- und Telemetrie-Untersuchungen auch DNA-Fingerprint-Techniken. Die Ergebnisse sollen dazu dienen, Management-Modelle zu erstellen, auf deren Basis spezifische Maßnahmen für den Schutz des Hamsters gefunden werden können.

Der Feldhamster ist ein besonders drastisches Beispiel für den Wandel in der Existenz von Tierarten innerhalb nur weniger Jahrzehnte, verursacht durch den Menschen, seine Ausbreitung und technischen Methoden. Gab es den Hamster noch vor 30 Jahren in so großen Beständen, daß hauptamtliche Fänger auf ihn angesetzt wurden, so ist er heute ein sehr gefährdetes Rote-Liste-Tier. Seine Wahl zum „Tier des Jahres 1996“ durch die SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHES WILD kommt deshalb hoffentlich noch zur rechten Zeit, um Öffentlichkeit, Wissenschaft und Naturschutz zu seiner Erhaltung zu sensibilisieren – so, wie es bei den vorherigen Jahres-Tieren Fledermaus, Wildkatze und Apollofalter bereits mit Erfolg geschah.

Jana Brinkmann-Werner
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